Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.08.2020, Nr. 33, S. 46
Scheffaus altes Schulhaus ist heute ein heimeliges Boutique-Hotel
Von KATHARINA MATZIG
Dass ihr Name einmal Synonym einer globalen Krise sein würde, hat Korona S. gottlob nicht mehr erlebt:
Sie ruht seit Jahren auf dem Friedhof von Scheffau im Westallgäu. “Tempus fugit” läuten die Glocken von St. Martin viertelstündlich ab sechs in der Früh, die Zeit vergeht: In der Alten Schmiede von 1878 am Ortseingang wird heute gewohnt, in das denkmalgeschützte Fernsemmerhus aus dem 18. Jahrhundert ist der Dorfladen eingezogen. Und im Gasthof Zum Postwirt, gegenüber dem prachtvollen Maibaum vor dem Gebäude der freiwilligen Feuerwehr, wird außer selbstgebrautem Bier und hausgemachtem Eis am Stiel in der Geschmacksrichtung Gurke-Zitrone freitags Allgäuer Biopizza aus dem Holzofen angeboten.
Die Schule des idyllischen 500-Seelen-Ortes markiert das Ende der Siedlung, eingebettet in die sanft modellierte Wiesenlandschaft mit freiem Blick auf die österreichischen und Schweizer Alpen. Seit letztem Jahr ist sie ein charmantes Boutique-Hotel namens Alpenloge.
Erbaut wurde das Schulhaus in den dreißiger Jahren, Korona S. hat es vielleicht besucht. Seit 1972, als Scheffau mit Scheidegg zusammengelegt wurde, findet jedoch kein Unterricht mehr statt, das schmucke Gebäude mit seiner hellgrauen, traditionellen Holzschindelfassade gammelte vor sich hin. Den gebürtigen Lindauer Michael Schott und die aus Kiel stammende Anja Engelke faszinierte der Ort trotzdem, dabei sind beide weder Architekten noch Lehrer.
Auch das Hotelfach haben sie nicht gelernt. Doch das Paar ist viel gereist von Hamburg aus, wo sie lebten. Und sie sind gerne Gastgeber. Und nein, Visionen sind keine Krankheit, sondern Motivation. Daher steht die Alpenloge ebenso stattlich und dabei energetisch vorbildlich wieder am Kirchenanger und ermöglicht Zugereisten unabhängig von den bayerischen Schulferien großartigen Urlaub.
Historische Wandtafeln, aus der Lehrmittelanstalt A. Pichlers Witwe & Sohn oder dem Verlag “Der praktische Schulmann”, erinnern an die Geschichte, in einigen Räumen kam Altholz zum Einsatz, der berühmte “Moser-Stuhl” von 1931 passt perfekt in den Speisesaal, der gleichzeitig Rezeption, Bar, Stube und Wohnzimmer ist. Non scholae, sed vitae discimus, der alte Spruch stimmt eben doch: Michael beispielsweise – die kleine, feine, familiäre Gemeinschaft auf Zeit in der Alpenloge duzt sich – musste lernen, dass die benachbarten Schnucken nur im Herbst geschlachtet werden, da sie vorher zu klein wären und im Winter erfrieren würden.
Auf der täglich wechselnden Abendspeisekarte steht daher im Frühling und Sommer andere regionale Kost. Anja hingegen wusste nicht, dass die Bakelitschalter, die verbaut wurden, weil sie dem Baujahr der Schule entsprechen, dreimal so teuer sind wie zeitgemäßes Design. Und die Gäste? Für sie bekommt der aktuelle pädagogische Begriff der “Lernlandschaft” eine neue Bedeutung und endlich einen Sinn.